Petra Schniewind Michel, Anke Fröhlich-Schauseil
Christian Wilhelm Ernst Dietrich, genannt Dietricy (1712 -1774)
Das radierte Werk in Originalgröße nach J. F. Linck [Arbeitstitel]
Der Künstler
Ein guter Freund Carl Heinrich von Heinekens in Dresden war der vielseitige Hofmaler Christian Wilhelm Ernst Dietrich (1712-1774), der sich selbst „Dietricy“ nannte. Aus einer Weimarer Künstlerfamilie entstammend, war er im 18. Jahrhundert einer der produktivsten und weithin bekanntesten deutschen Maler, Zeichner und Radierer. Als Hofmaler am kursächsischen königlich-polnischen Hof, als Inspektor der Gemäldegalerie und seit 1764 als Professor an der neugegründeten Kunstakademie genoss er allerhöchstes Ansehen. Sein Ruhm als Maler gründete auf seiner besonderen Fähigkeit, ältere Meister unterschiedlicher Schulen der Malerei nachzuahmen und daraus seinen eigenen, unverwechselbaren Stil, den man als „verbessernd“ verstand, zu entwickeln. Dies entsprach ganz dem Kunstverständnis seiner Zeit und seine Werke galten als vollendet „geschmackvoll“ und stilbildend. Entsprechend waren Dietricys biblische und mythologische Historienszenen, Genredarstellungen und Bildnisse europaweit begehrt und wurden zu Höchstpreisen gehandelt. Besonderen Zuspruch aber erfuhren seine Landschaftsschilderungen mit fantasievollen Darstellungen arkadischen Hirtenlebens und höfisch-galanten Szenerien. Ob gemalt, gezeichnet oder radiert, sie fehlten in kaum einer Galerie oder einem grafischen Kabinett. Johann Joachim Winkelmann, den Dietrich persönlich in Dresden kennenlernte, pries ihn sogar als den „Raphael unserer und aller Zeiten in Landschaften“. In seiner zeitlichen Zwischenstellung zwischen seinem Lehrer Johann Alexander Thiele und seinem Schüler Johann Christian Klengel, zwischen Spätbarock und Klassizismus bereitete er in Sachsen den Weg für die stilistische Entwicklung zur Landschaftsmalerei der Romantik. Zudem schuf Dietrich in zahlreichen sächsischen Schlössern und Palais des Adels großformatige Dekorationsmalereien. Auch bei der Ausgestaltung eines Raumes von Heinekens Rittergut im Schloss Altöbern war Dietrich beteiligt. Heineken selbst erwähnt dies 1786 in seinen „Neuen Nachrichten von Künstlern und Kunstsachen“ und betont: „Von Dietrich findet man unter anderem ein Zimmer ganz ausgeschmückt mit sechs Wandbildern und drei Türstücken (…) die er aus Freundschaft in seiner besten Zeit malte“.
Die Autorinnen
Seit ihrer Dissertation im Jahr 1984 befasst sich die in München tätige Kunsthistorikerin Dr. phil. Petra Schniewind Michel (http://www.artproject-web.de) mit dem vielseitigen und für seine Zeit in ganz Europa bekannten Künstler. Zu seinem zum 300. Mal wiederkehrenden Geburtstag im Jahr 2012 widmete sie ihm eine ausführliche Monografie, die im Hirmer Verlag erschien.
Die Kunsthistorikerin Dr. phil. Anke Fröhlich-Schauseil in Dresden (www.ankefroehlich.de) forschte zur Bildenden Kunst in Sachsen des 18. und 19. Jahrhunderts, insbesondere zur Landschaftsmalerei. Unter anderem verfasste sie ihre Dissertation zur Landschaftsmalerei in Sachsen und ein Werkverzeichnis des Schaffens von Dietrichs Schüler und Nachfolger Johann Christian Klengel (1751-1824).
Beide Autorinnen sind Mitglieder der Carl Heinrich von Heineken Gesellschaft e. V.
Dietrich und sein druckgrafisches Werk (oder Dietrich als Radierer)
Dietrichs Wirken als Dresdner Hofmaler wie als Malerradierer interessiert beide Wissenschaftlerinnen schon seit langem. Es gibt enge Bezüge zum Radierwerk seines – ebenfalls aus Thüringen nach Dresden gekommenen – Lehrers Johann Alexander Thiele und Christian Ludwig von Hagedorns sowie auch zum Schaffen seiner jüngeren Kollegen Adam Friedrich Oeser, Jakob Wilhelm Mechau, Johann Eleazar Zeißig, genannt Schenau, Adrian Zingg und Johann Christian Klengel. Neben Louis de Silvestre, Anton Raphael Mengs und Anton Graff gehörte er zu den wichtigsten Hofkünstlern in Dresden.
Nicht nur sind Dietrichs Radierungen mit ihren vielfigurigen biblischen Szenen, mit Halbfigurenporträts, Kopfstudien und Bettlerdarstellungen wie mit den Landschaften ein kostbares Beispiel der Rembrandt-Rezeption und des Hollandismus im 18. Jahrhundert. Sondern sie bilden auch eine ganz eigene Stimme in der europäischen Kunst des 18. Jahrhunderts, hochgeschätzt, international gehandelt und deshalb in allen großen und zahlreichen weiteren grafischen Sammlungen Europas und Nordamerikas vertreten.
Zur Forschungslage
Das Verdienst, das erste Verzeichnis der Druckgrafik verfasst zu haben, gebührt Dietrichs Freund und Förderer Carl Heinrich von Heineken. Die bis heute wichtigste frühe Veröffentlichung zu Dietrichs Schaffen als Radierer ist hingegen die „Monographie der von dem vormals K. Poln. und Churfürstl. Sächs. Hofmaler und Professor etc. C. W. E. D. radirten, geschabten und in Holz geschnittenen malerischen Vorstellungen“ von Johann Friedrich Linck, Berlin 1846. Dieses Verzeichnis, das 181 Radierungen in unterschiedlichen Druckzuständen erfasst, werden wir bei der Bearbeitung der Druckgrafik zugrunde legen und zugleich Heinekens Verzeichnisse wie alle folgenden wesentlichen Lexika zur Druckgrafik des 18. bis 20. Jahrhunderts berücksichtigen.
Dietrich ist durchaus kein Unbekannter: In jüngerer Zeit widmete Ina Keller „Dietrichs Stellung am sächsischen Hof und seinen Beziehungen zum Nöthnitzer Kreis“ ein Kapitel in ihren „Studien zu den deutschen Rembrandtnachahmungen des 18. Jahrhunderts“, Berlin 1981 (S. 56-120), und Petra Michel verfasste ihre Dissertation „Christian Wilhelm Ernst Dietrich (1712-1774) und die Problematik des Eklektizismus“, München 1984. Beide Forschungen liegen 30 Jahre zurück. In Dresden widmeten Christian Dittrich und Harald Marx in Dresden dem Künstler genauere Untersuchungen.
Daneben haben auch einzelne Sammlungen ihre beträchtlichen Bestände an Dietrich-Werken publiziert. Friedrich Schlie beschrieb 1882 in seinem „Beschreibende[n] Verzeichnis der Werke älterer Meister in der Grossherzoglichen Gemälde-Galerie zu Schwerin“ 57 Gemälde und Zeichnungen des Künstlers. Hans Tietze, Erika Tietze-Conrat u.a. erfassten 1933 in ihrem Sammlungskatalog der Grafischen Sammlung Albertina Wien „Die Zeichnungen der deutschen Schulen bis zum Beginn des Klassizismus“ allein 291 Blätter von Dietrichs Hand. Der Louvre veröffentlicht 33 Dietrich-Zeichnungen in seiner Internet-Datenbank. Im „Virtuellen Kupferstichkabinett“ des Herzog Anton Ulrich-Museums in Braunschweig ist das nahezu vollständig vorhandene radierte Werk Dietrichs online verfügbar. Andere Sammlungen haben ihre Dietrich-Werke hingegen noch nicht vollständig erforscht und publiziert.
Die Publikation
Dietrichs Wirken als Dresdner Hofmaler und als Lehrer einer ganzen Reihe sächsischer Künstler ist zwar in Kunsthistorikerkreisen bekannt, doch ist es schwer, sich einen Überblick über sein umfangreiches Werk zu verschaffen. Bis auf die erwähnten monografischen Publikationen von Linck 1846 und Michel 1984 sowie Schniewind Michel 2012 gibt es keine seinem künstlerischen Rang entsprechende Monografie. Eine Publikation seiner eigenhändigen Grafiken wäre ein weiterer wichtiger Schritt, diesen in seiner Zeit hochberühmten Künstler neu entdecken und bewerten zu können. Sein Radierwerk bildet die Bandbreite der von ihm geschaffenen Werke, deren Gattungen, Sujets und Kompositionen konzentriert ab; man findet darin gleichsam den „ganzen“ Dietrich.
Christian Wilhelm Ernst Dietrich
Zwei Knaben mit einem Titelblatt, 1732
Radierung, 14,3 x 11,7 cm (Platte)
Linck 96
Privatbesitz
Christian Wilhelm Ernst Dietrich
Die beiden Bärenführer, 1764
Radierung, 12,6 x 9,4 cm
Linck 84
Privatbesitz
Christian Wilhelm Ernst Dietrich
Heroische Landschaft, in Poussins Geschmack
Radierung, 14,7×18,7 cm (Platte)
Linck 151
Privatbesitz
Christian Wilhelm Ernst Dietrich
Die Herde bei der Statue der Flora, 1744
Radierung, 14,6 x 18,8 cm (Platte)
Linck 147
Privatbesitz
Christian Wilhelm Ernst Dietrich
Der Satyr beim Bauern, 1739
Radierung, 21,2 x 27,5 cm (Platte)
Linck 40
Privatbesitz
Buchtitel:
Petra Schniewind-Michel, Christian Wilhelm Ernst Dietrich (1712-1774), genannt Dietricy, München 2012